Was ist Werbung ?


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 Vorgehen

 Jeder ein Experte

  Zwei Welten

Die Texte, die sich seit den 60er Jahren mit Werbung auseinandersetzen, lassen sich grob in zwei Gruppen einteilen. Beschäftigungen mit Werbung aus der Perspektive der Wirtschaft als ihrem Auftraggeber und ersten Adressaten stammen oft aus dem Umfeld der Werbung selbst. Wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit dem Thema, welche meist die Wirkung der Werbung auf die Gesellschaft zum Gegenstand haben, leuchten Werbung eher aus der Perspektive der Konsumenten aus. Dirk Reinhardt spricht in diesem Zusammenhang von den Symptomen einer klassischen Stellvertreterdebatte, bei der es anhand der Werbung ganz grundsätzlich um Moral und Unmoral der Moderne geht.
Dadurch liegt wissenschaftlichen Texten, die bis in die 70er Jahre entstanden in der Regel das Bild von "der Werbung" als einer relativ homogenen Macht zugrunde, deren Opfer "die Konsumenten" sind. Konrad Dussel erwähnt in diesem Zusammenhang den common sense, der zu jener Zeit darüber herrschte, "dass jeder den Verführungskünsten der Werbung hilflos ausgeliefert sei". Bei dieser Konzeption der Werbung lässt sich diese auch innerhalb der "Kulturindustrie" verstehen, wie sie Adorno und Horkheimer erstmals 1944 formulierten. Der kulturkritische Ansatz des Ende der 60er Jahre wieder entdeckten Konzeptes lag auch all den Texten zugrunde, welche als hauptsächliche Werbewirkung die Vermittlung des Konsums als Lebenszweck behaupteten.


Stimmen aus der unbekannten Branche

Die Vorstellung des vollst„ndig manipulierten Konsumenten wurde 1973 vom "users gratifications approach" widerlegt, der die Verantwortung für die Werbewirkung zum Teil von den Schultern der Medien auf diejenigen der Konsumenten verlagerte. Dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Werbung bis heute Züge einer Stellvertreterdebatte trägt, zeigt sich etwa in der Zuordnung zur "Kunst", wie in den 80er-Jahren von Michael Schirner oder dem Benetton-Werber Oliviero Toscani behauptet wurde und Siegfried J. Schmidts Konzipierung der Werbung als Teilsystem des "Systems Wirtschaft". Aus systemtheoretischer Perspektive entwirft Schmidt das Bild eines zwangsläufig parasitären Systems, das, unfähig zur Innovation und angetrieben vom Konkurrenzkampf Kunst, Kultur beerbt und rein funktionsorientiert verwertet. Auf der Grundlage dieses Konstruktes untersucht er die Werbung als Resonanzkörper des "Zeitgeistes". Norbert Bolz, der Professor für Kommunikationsdesign aus Essen, führt diese beiden Ansätze, die Behauptung der Echtheit, den die Werbug mit ihren Bildern erfüllt und den Verdacht des Betrugs durch Bilder auf den gleichen normativen Ansatz zurück: Sie wollen beide zurück in eine "Welt der Beobachtungen 1. Ordnung".
Ein Teil der Publikationen, die sich auf diesen systemtheoretischen Ansatz stützt, stammt interessanterweise aus der Werbung selbst, beziehungsweise von Akademikern, die im Werbeumfeld tätig sind oder waren. In diesen Texten kommt natürlich vor allem viel Insiderwissen der Autoren zum Tragen. Dass sie auch ohne wissenschaftliche Transparenz Glaubwürdigkeit ausstrahlen, hängt mit der geheimnisvollen Aura zusammen, mit der sich die Werbewirtschaft umgibt. Werber, die ihre eigene Branche beschreiben, können von ihrem Geheimwissen Gebrauch machen. Aussagen von Praktikern gehören neben den eigentlichen Werbungen zu den unentbehrlichsten Quellen, um einen Blick auf die Funktionsweise dieser "unbekannten Branche" zu erhalten.
Die bisher einzige, umfassende Darstellung der Geschichte der schweizerischen Werbewirtschaft basiert auch zu einem grossen Teil auf so gewonnenem "Geheimwissen". Sie stammt vom Historiker Markus Kutter, dem früheren Geschäftsführer der Werbeagentur GGK. Das Spannungsfeld, in welchem sich solche Arbeiten bewegen, zeigt ein Blick auf die verwendete Sprache. Wie unterschiedlich einzelne Begriffe von Werbung und Wissenschaft interpretiert werden, zeigt der Begriff "Livestyle". Trenddeuter David Bosshard berichtet im Zusammenhang mit Erlebnisgastronomie etwa über den "Livestyle eines Hühnchens". Ein Bild, das durch die wissenschaftliche Definition des Wortes, wie es Barbara Hölscher verwendet, absurde Züge annimmt.


Konzentration auf die einzelne Marke

In der neueren Forschung gilt das Hauptinteresse den Untersuchung der Interaktionen zwischen der realen Lebenswelt und der Werbung. Dabei wird der Wirkungspfeil nicht mehr nur von dieser auf den Konsumenten verstanden, sondern auch in die Gegenrichtung. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass Werbung auch Elemente der Lebenswelt des Konsumenten aufnimmt. Ein modernes Werbeverständnis, das Dirk Reinhardt so formuliert: "Werbung wird nicht gemacht, sondern ist da, ist als kommunikative Struktur vorhanden, die genutzt werden kann, sowohl von den Unternehmern als auch von den konsumierenden Menschen." Auseinandersetzung mit Werbung nach diesem Verständnis muss sowohl nach der Lebenswelt der Konsumenten als auch nach Situation und Absicht der Auftrag gebenden Wirtschaft fragen. Untersuchungen, welche auf diesem Ansatz beruhen, aber bloss anhand einer einzelnen Marke oder eines Produktes, gesteht Reinhardt bloss apologetischen Charakter zu. Dabei verkennt er, dass die Beschränkung auf eine einzelne Marke den Vorteil bieten kann, dass durch die Auswertung von sehr unterschiedlichem Quellenmaterial wie Propekten und Marketingunterlagen zus„tzliche Aspekte in die Untersuchung einfliessen können. Marketingüberlegungen, wie sie Harm G. Schröters Untersuchung zum Beispiel Nivea zugrunde liegen, definieren sich ganz über das einzelne Produkt und dessen Geschichte und lassen sich deshalb nicht einfach so generalisieren. Mit der Geschichte einzelner Marken besch„ftigte sich bisher praktisch ausschliesslich die Werbewirtschaft selbst. Im Zentrum von wissenschaftlichen Arbeiten hingegen, die eine historische Perspektive einnehmen, steht eher der Wandel der Darstellung einzelner Aspekte wie etwa des Männer- und Frauenbildes oder der Natur.
Allgemein herrscht unter Historikern, was die Auseinandersetzung mit Werbungen als historische Quellen betrifft, eine schwer erklärbare Zurückhaltung. Vielleicht könnte ja gerade die eingehende Auseinandersetzung mit Werbungen als besonders komplexe und für praktisch alle Teildisziplinen der neusten Geschichte leicht zug„ngliche Quellen einen frischen Wind in die Methodendiskussion bringen.
Die Konsumgeschichte, welche den Konsum als bezeichnendes Merkmal der Moderne zum Gegenstand hat, arbeitet logischerweise am häufigsten mit Werbungen. Allerdings werden diese zum Teil selbst hier eher zur Illustration von bereits belegten Aussagen verwendet, als dass sie als historische Quellen ausgewertet werden.